Berechtigte Zweifel oder Spießertum?

Berechtigte Zweifel oder Spießertum?

Es wird ernst: Meine Tochter will ein Tattoo! Eigentlich will sie es schon vier Jahre lang, aber was die Angelegenheit jetzt bedrohlicher denn je macht, ist die Tatsache, dass meine Tochter das 18. Lebensjahr vollendet hat. Somit ist sie volljährig – mündig – großjährig – von Rechts wegen erwachsen – voll geschäftsfähig und ich, die Mutter, bin raus!

Damals, als sie den Wunsch das erste Mal äußerte, dachte ich siegessicher: Ruhe bewahren, ein paar gut formulierte Argumente dagegen, die eine oder andere Horrormeldung von misslungenen Tätowierungen verlauten lassen und der Drops ist gelutscht! Inzwischen scheint mir meine Kapitulation unausweichlich. Ich brauche ein Gesetz – aber zackig –, welches mich auf Lebzeiten dazu berechtigt, Tattoos zu verbieten. Einfach so! Ohne Argumente und nicht nur am Muttertag!

Meine letzten Bemühungen, meine Tochter von den allzeitlichen Hautbemalungen abzubringen, gleichen einer Verzweiflungstat. Ich rede alles schön: eine Tarantel als Haustier, grün-lila gefärbte Haare oder meinetwegen auch eine Glatze, Lyrik und Prosa, das Trampen – auch nachts, Sandalen mit Socken und von mir aus auch den Beitritt zum Taubenzuchtverein. Alles ist mir als Mutter lieber als Etwas, was sich nicht mitverändern wird, wenn sich das ICH aufgrund von Geschmack, Erlebnissen, Wahrnehmungen und Lebensphilosophien verändern wird.

Und es wird sich verändern! Wenn es das nicht täte, dann würde meine Tochter auch heute noch alles in Pink oder Rosa haben wollen und immer noch Rolf Zuckowski rauf und runter hören. Tut sie aber nicht!

Ich bin mir nicht sicher, wer mehr Hilfe benötigt: Ich, um meine Tochter vor einer ziemlich unumkehrbaren Entscheidung, die sie eventuell einmal bereuen wird, zu bewahren oder meine Tochter, um sie vor ihrer zweifelnden und spießigen Mutter zu schützen?

Vielleicht muss es auch gar nicht, wie eingangs erwähnt, heißen: „Es wird ernst: Meine Tochter will ein Tattoo“,  sondern in Anbetracht vieler wirklicher Katastrophen: „Alles ist gut: Meine Tochter hat ein Recht auf eigene Entfaltung und will ein Tattoo – na und?“

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