Ich bin ganz bei dir

Ich bin ganz bei dir

Wo sind sie denn alle? Ich gehe durch meine Wohnung und bemerke, sehr zu meiner Verwunderung, dass ich allein bin. Dabei höre ich dieser Zeit so oft, dass sie „bei mir sind“. Ich müsste umgeben sein von Menschen. Dafür habe ich kein Recht mehr! Niemand hat heute mehr Recht. Sie wissen nicht wovon ich rede?

Erinnern Sie sich noch an Zeiten, in der es bei Diskussionen zwei Möglichkeiten gab: entweder man hatte Recht oder man lag mit seiner Meinung gänzlich daneben – bekam also kein recht.  

Das gibt es heute nicht mehr. Heute ist man „bei einem“- oder eben auch nicht.. „Ich bin ganz bei dir!“ heißt es dann weichgespült. „Wir sind absolut bei Ihnen!“ kommt es mir dann entgegen, und es fühlt sich an wie einmassiert.

Dabei ist es wirklich nicht nötig. Niemand muss sich das so einrichten, dass er bei Meinungsübereinstimmung bei mir ist. Ich bin gerne allein. Wirklich. Ich würde viel lieber wieder einfach nur Recht haben. „Ich bin ganz bei Ihnen“ wenn mir dieser Satz auf seiner Schleimspur entgegenkommt, dann weiche ich innerlich aus, weil mir diese ungewollte, aufgezwungene Nähe unangenehm ist. Wenn jemand meine Auffassung einer Sache teilt, dann ist das erstmal nichts, was mich irritiert. Jedoch mir deswegen gleich seine Anwesenheit ungefragt aufzuerlegen „Ich bin absolut bei dir“ halte ich für distanzlos, ja sogar übergriffig.

Kann er oder sie nicht fragen: „Wäre es für dich ok, wenn ich bei dir bin?“ Mit dieser Variante würde ich mich wohler fühlen. Aber jetzt, wo es modern zu sein scheint, dass alle immer gleich „bei mir sind“ graut es mir fast davor, mit meiner Meinung auf Zustimmung zu stoßen. Wer weiß, wie weit die linguistische Entwicklung diesbezüglich gehen mag? Bringt man in wenigen Jahren eine Bestätigung vielleicht schon wie folgt zum Ausdruck: „Ich wohne ganz bei dir zu Hause“ oder „Ich lege mich sowas von zu dir aufs Sofa!“

Das mag ich mir nicht einmal vorstellen!

Um etwaige sprachliche Auswüchse im Keim zu ersticken, bemühe ich mich, den Menschen wieder Recht zu geben, anstatt mich vom neuzeitlichen Sprachgebrauch anstecken zu lassen. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, dann kann Recht haben oder Recht bekommen ein Gefühl von Macht und Bedeutung auslösen. Zu welchen Auswüchsen derartiges Gefühl im Stande zu sein vermag, das mag ich mir auch nicht vorstellen. Aber, das ist ein Thema für eine andere Kolumne – hab‘ ich recht oder sind Sie ganz bei mir?