Gibt es eine Verpflichtung zum Leben?

Gibt es eine Verpflichtung zum Leben?

Die Meinungen zum Thema „Sterbehilfe“ gehen weit auseinander. Auch wenn es dazu in vielen Ländern der Welt inzwischen Positionen und Gesetze gibt, so bleiben die kontroversen Diskussionen zu dem Thema nicht aus. Wenn man sich ein wenig mit der Thematik und mit der damit verbundenen Problematik befasst, dann spricht man nicht mehr nur von Sterbehilfe, sondern grob gesehen von drei Varianten: die aktive, die passive und die indirekte Sterbehilfe.

Am umstrittensten ist die aktive Sterbehilfe, die das gezielte Herbeiführen des Todes durch Handeln aufgrund des Wunsches einer Person meint. Im Jahre 2001 ließ die Niederlande als erstes Land der Welt diese zu; in vielen anderen Ländern ist sie verboten und wird sogar gleichgesetzt mit fahrlässiger Tötung oder Mord.

Ich recherchiere, was die Argumente der Gegner vom selbstbestimmten Sterben sind – und werde fündig: Zum Beispiel sind es die vielen Erfahrungen von Psychologen und Seelsorgern, die sich einig sind, dass eine Mehrzahl der Menschen, die einen missglückten Suizid hinter sich haben, diesen oft bereuen und froh sind, dass er missglückte. Ein selbstbestimmtes Sterben könnte dieser Fehlentscheidung Vorschub leisten. Ein gutes Argument. Nur frage ich mich in dem Zusammenhang, wieso ist die Beihilfe zur Selbsttötung, die einer aktiven Sterbehilfe sehr nahe kommen könnte, dann hierzulande erlaubt und straffrei?

Gegner der aktiven Sterbehilfe beharren darauf, dass es sich dabei um Euthanasie handelt. Sie haben recht im Sinne der Wortbedeutung: Euthanasie ist ein Fremdwort, welches sich aus dem altgriechischen „schön“, „gut“ und „Tod“ herleitet. Die Gegner ziehen aber einen direkten Vergleich zu dem im dritten Reich missbrauchten Begriff der Euthanasie, bei der es um systematisches Morden ging. Dieser Vergleich ist äußerst unangemessen, denn die Sterbehilfe bezieht sich auf Sterbewillige – und all die Körperbehinderten, die geistig Minderbemittelten, die rassisch und sozial Unerwünschten wollten nicht sterben!

Natürlich haben auch die christlichen Kirchen ihren Standpunkt: Das 5. Gebot verbietet es, zu töten und die Selbsttötung, wie Saul oder Judas sie vornahmen, ist sündhaft. Basta!

Dabei kann ich mich auch an Religionsunterricht erinnern, in dem gelehrt wurde, dass das Sterben zum Leben gehört, dass es schön sei bei Gott im Himmel und dass das Sterben nicht das Ende ist, sondern ein neuer Anfang. Wieso ist dann die Sterbehilfe für einige so verwerflich, wenn es einem Menschen den unausweichlichen Übergang in dieses unbekannte Danach erleichtern kann?

Gesetzlich verankert ist der Schutz von Leben – und das ist auch gut so! Aber sind wir deshalb auch verpflichtet zum Leben? Selbst wenn ausschließlich Maschinen dieses sogenannte Leben ermöglichen würden und auch wenn die Mittel der überaus wichtigen Palliativmedizin die Schmerzen nicht völlig nehmen können?

Für mich steht fest: Sterbehilfe, ob passiv, aktiv oder indirekt kann ein Beistand für die Entscheidung eines Sterbewilligen sein und sollte so selbstverständlich sein dürfen wie die Geburtshilfe, die auch eingreift, wenn es auf natürliche Weise nicht möglich ist!

1 Gedanke zu „Gibt es eine Verpflichtung zum Leben?“

  1. Moin,
    ich räum grade auf, und bekomme Deinen aufbewahrten Artikel in die Hände, zu dem ich noch etwas schreiben wollte. Nun habe ich mal die in Basses Blatt angegebene Adresse gewählt und bin auf Deiner Internetseite gelandet und hoffe jetzt an der richtigen Stelle zu schreiben. Das man erst “ no comment“ anklicken muß, um einen solchen abzugeben ist ungewöhnlich. Und alles auf englisch wird auch im 21. Jahrhundert doch einige Kommentarwillige abhalten sich hier schriftlich zu äußern…. aber dies nur am Rande
    Die Kolumne „Gibt es eine Verpflichtung zum Leben?“ ist ein gelungener Beitrag zur in letzter Zeit doch auffällig häufig geführten Diskusssion um die Selbstbestimmung der Menschlichen Kreatur. Geschrieben von Dir als Frau, die geschlechtsspezifisch durchaus betroffener erscheint in der Entscheidung über Leben und Tod als der Mann.
    Wahrscheinlich liegt die vermeintliche Häufigkeit daran, daß die Generation von Gutmenschen jetzt in die kritische Zeitone rutscht, die in der Vergangenheit Mortio und Zetero geschrien haben, als erste Fälle von aktiver Sterbehilfe ausgeführt von angeblichen Halbgöttern in weiß vor ca. 40 Jahren bekannt wurden. Wahrscheinlich haben die dazu Befähigten damals nichts anders gemacht, als das was heute legitimiert werden soll, nur nicht darüber geredet. Es bestand wohl auch Jahrzehntelang gesellschaftlicher Konsens über den Umgang mit dem Thema. Doch dann wollte die Anarchie alles besser machen. Ja, und nun sind die Gutmenschen 40 -50 Jahre älter und die Realität stellt sich ganz anders da.
    Eine gute Bekannte erzählte einmal von Ihrem schwerkranken Großvater , Soldat im 1. Weltkrieg gewesen, Anfang der 40 iger Jahre als Zivilist im Sterben liegend und sich dessen bewußt. Nachdem die Famlie nocheinmal am Krankenbett war, bat er darum ihn mit dem behandelnden Landarzt allein zu lassen und die Türen zu schließen. Als die Tür nach einiger Zeit von Innen wieder geöffnet wurde, trat der Arzt schweigend heraus und der Großvater war friedlich entschlafen
    Diese Geschichte fällt mir immer zu dem Thema ein und zeigt, wie lange sich die Menschen schon damit beschäftigen. Möge sich ein jeder seine Gedanken darüber machen und durchaus auch Verständnis für andere Entscheidungen als die Eigene entwickeln.
    So ich muß jetzt weiter aufräumen und wünsche noch viele Gute Kolumnengedanken

    Torsten Tily

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