Grenzenlos vernachlässigt?

Grenzenlos vernachlässigt?

Grenzen, wenn sie aus Mauern und Stacheldraht bestehen, finde ich doof! Es sei denn, sie trennen mich von wilden, hungrigen Tieren!

Es gibt aber Bereiche, in denen meiner Meinung nach Grenzen für ein harmonisches Miteinander unerlässlich sind. Zum Beispiel im Zusammenleben von Eltern und Kindern unter einem Dach. Hier dienen Grenzen – nicht aus Stacheldraht – dem Schutz und sogar dem Sicherheitsgefühl des Kindes. Es gibt jedoch Eltern, die sich kaum mehr trauen oder kaum in der Lage zu sein scheinen, sogenannte Grenzen zu setzen. Woran mag das liegen?

Zum einen, vermute ich, dass manche Eltern sich über ihre eigenen, ganz persönlichen Grenzen gar nicht bewusst sind. Und zum anderen liegt es vielleicht auch daran, dass Eltern zu oft Konflikten mit ihren Kindern aus dem Weg gehen wollen, weil sie glauben, dadurch ihre grenzenlose Liebe zum Ausdruck zu bringen. Manchmal sind sie vielleicht auch einfach nur müde oder gedankenverloren. Oder beides?

Kurzfristig lässt sich mit der bequemen Grenzenlosigkeit sicherlich das eine oder andere lautstark weinende, wütend tobende oder aufmüpfig brüllende Kind zu einem scheinbar glücklichen und ach so unkomplizierten Sprössling umkehren.

Aber tun Eltern ihrem Nachwuchs damit nachhaltig einen Gefallen?

Die Entschlussunfähigkeit mancher Eltern und ihre mangelnde Konsequenz sind es, die bei Kindern eine gehörige Portion Unsicherheit auslösen können. Kinder brauchen das Selbstverständnis der Grenzen und den Umgang mit diesen. Und sie fordern die Möglichkeit ein, diesen Umgang zu lernen. Das sollten Eltern ihren Kindern nicht vorenthalten – auch wenn es aus meiner Erfahrung heraus sehr anstrengend sein kann. Je klarer, unmissverständlicher und doch liebevoll diese sogenannten Grenzen vorgegeben werden, desto schneller und leichter scheinen Kinder darin zu sein, diese auch gern für sich zu übernehmen. Aus der Konsequenz der Eltern kann für das Kind ganz viel Sicherheit und Geborgenheit entstehen – das hatte ich diverse Male im Hinterkopf, wenn das Grenzen setzen sich wiederholt als mühsam und strapaziös erwies. Und ehrlich gesagt, habe ich es auch jetzt noch im Hinterkopf, wenn ich wiedermal großzügig – man kann es auch bequem oder inkonsequent nennen – unsere vereinbarte „Nutella-Frühstücks-Regelung“ über den Haufen werfe!

Kurzum: Ich bin der Überzeugung, dass Grenzenlosigkeit in der Begleitung von Kindern auch eine Art Vernachlässigung ist – sozusagen grenzenlos vernachlässigt.

Je suis…wer oder was jetzt?

Je suis…wer oder was jetzt?

Hin- und hergerissen nehme ich mich und mein Umfeld nach dem wiederholt Unfassbaren wahr.

Traurig denke ich an mir völlig unbekannte Menschen in und um Paris, die nun mit dem brutalen Tod eines nahen Angehörigen weiterleben müssen. Gleichzeitig merke ich, wie mir viele Solidaritätsbekundungen, besonders die im weltweiten Netz, wie hohles „Weltgelaber“ erscheinen.

Ein Mausklick und man ist aktuell „Je suis Paris“, was übersetzt heißt: „Ich bin Paris!“. Die Schnelligkeit, mit der heutzutage Solidarität bekundet werden kann, kommt dem temporären Wunsch nach Zusammengehörigkeit und Gesinnungsgleichheit entgegen. Das freut mich für die Menschen, die das so brauchen. Ein Nachteil kann sein, dass durch den geringen Aufwand – ein Mausklick – eine Art unbedachtes Mitläufertum entsteht.

„Je suis Paris“ wird bekundet – zeitgleich erfahren Menschen, die genau wegen solcher in ihrer Heimat fast alltäglichen Ereignisse ihr Zuhause verlassen und in unserem Land Schutz suchen, auch Ablehnung.

„Je suis noch nie Syrien“ gewesen und je sius auch nicht Kongo oder Afghanistan. Wieso eigentlich nicht? Solidarität für Mitmenschen scheint einfach, solange sie nicht zu weit weg sind und solange die Grenze zu „meinem“ Land nicht überschritten wird!

Dazu kommt: Wenn der erste Schock vorüber sein wird, weicht die Solidarität nicht selten dem Kommerz und wir können Textilien und Taschen mit besagten Spruch kaufen. So war es zumindest bei „Je suis Charlie“.

„Je suis Paris“. Bin ich Paris? Kann ich Paris sein, ohne jemals dort gewesen zu sein und ohne Französisch sprechen zu können? Wenn ja, dann bin ich auch das nicht eingehaltene Integrationsversprechen, das dafür sorgt, dass zehn Jahre nach heftigsten Ausschreitungen in den Pariser Randzonen, den Banlieues, wörtlich übersetzt Bannmeilen, nach wie vor von Ausgrenzungen und Defiziten in vielen Bereichen betroffen sind.

Nein, ich für mich nehme Abstand von derart dargestellten Solidaritätsbekundungen, auch wenn mir dadurch ein Weg versperrt bleiben mag, meiner Traurigkeit, der Ohnmacht, der Angst und dem Entsetzen über die grausamen Ereignisse Ausdruck zu verleihen.

Alles zu seiner Zeit

Alles zu seiner Zeit

Dieses Jahr mache ich es anders. Ganz bestimmt. Nicht wieder kurz vor Weihnachten wie von einer Tarantel gestochen die letzten Geschenke besorgen! Dieses Jahr passe ich mich dem Einzelhandel an und tue spätestens im Oktober so, als stünde knirsch Weihnachten vor der Tür. Stress-Prophylaxe nennt man das wohl. So werde ich alles genüsslich und entspannt mit einem Jesus-liebenden Lächeln im Gesicht erledigt haben noch bevor ich am Kalender das Oktoberblatt abreiße.

Aldi legt bereits die leckeren Lebkuchen ins Regal und bei Möbel Kraft entgehe ich nur knapp einem Weihnachtskugel-Koller. Das ist mein Startschuss! Mit meiner Liste, auf der alles fein säuberlich festgehalten ist, wer was für wie viel und von wo geschenkt bekommen soll, mache ich mich auf den Weg.

Angestrengt rede ich mir ein: Es weihnachtet sehr! Und ich summe stimmungsfördernd „Last christmas“ vor mich hin. Ich erkläre das Rentier zu meinem Lieblingstier und überhaupt richte ich mein gesamtes Denken Richtung winterliche Weihnachten und besorge schon einmal Streusalz, Glühwein und frisches Lametta! Enttäuscht stelle ich fest, dass trotz meiner engelhaften Bemühungen noch nichts weihnachtet in mir! Wie soll ich Weihnachtsgefühle bekommen, wenn sich meine Zehen spätsommerlich vergnügt an den Flip-Flops festhalten und wenn mein Schneeball aus Laub besteht? Ich bin ernüchtert: Ich werde es wie jedes Jahr machen. Diese kommerzielle, verfrühte Festtagsstimmung geht mit mir nicht. Jesus wurde Ende Dezember geboren – basta! Im Oktober hatte Maria noch nicht einmal Senkwehen und mit Sicherheit hatten Caspar, Melchior und Balthasar auch noch nicht Monate im Voraus ihre Geschenke organisiert. Also bitte alles zu seiner Zeit. Ich bekenne: Erst wenn es Advent ist, wenn ich jeden Morgen ein Schoki-Stück aus dem Weihnachtskalender nehmen kann und wenn das Dezemberblatt am Almanach sichtbar ist, dann bin ich bereit, für meine Lieben Geschenke zu besorgen!

Liebes Facebook

Liebes Facebook,

wie du vielleicht schon bemerkt hast, habe ich dich verlassen! Du wurdest mir ans Herz gelegt, weil es ein absolutes Muss sein soll, sich oder zumindest sein „Produkt“ über dich bekannt zu machen. Irgendwann – viele Jahre nach dem großen Hype um dich – war dann auch ich soweit. Obwohl ich deine Oberfläche nie leiden konnte, habe ich dir eine Chance gegeben, denn meine Mutter sagt immer, dass es auf die inneren Werte ankommt. Aber auch deine inneren Werte, liebes Facebook, konnten mich nicht überzeugen. Deine überschaubaren Pluspunkte kommen einfach nicht gegen all die negativen Einflüsse und Eigenschaften an.

Um es auf den Punkt zu bringen: du nervst! Du erfüllst weder meine beruflichen Erwartungen noch passt du zu meinen zwischenmenschlichen Vorstellungen und Ansprüchen. Ich habe mich schnell dafür geschämt, Menschen virtuell meine „Freunde“ zu nennen und fast zeitgleich ihre Profile zu blockieren, damit ich, die lediglich ein Produkt bekannt machen wollte, nicht mit deren privaten Nutzungsgebaren konfrontiert werde. Binnen kürzester Zeit war ich einer andauernden Ambivalenz ausgesetzt. Auf der einen Seite das suchtähnliche Wissenwollen über Leserzahlen und -reaktionen und auf der anderen Seite die Ernüchterung über deine Überflüssigkeit und deine zeitraubenden Bombardements mit dem, was andere Menschen zu allen Themen und Pseudo-Themen der Welt „posten“. Die Wichtigkeit und der Sinngehalt dieser grenzenlosen Informationsflut erschließt sich mir nicht immer, sondern lässt meine Vermutung zur Überzeugung heranwachsen, dass du, liebes Facebook, nicht zu mir passt. Genauso, wie ich mich einst aus Neugier mit unternehmerischer Probierlust für dich entschieden habe, so entscheide ich mich nun bei vollem Bewusstsein gegen dich. Auch auf die Gefahr hin, dass mir LeserInnen und Feedbacks verloren gehen. Weiter nehme ich in Kauf – gern in Kauf! –, dass mir zukünftig verborgen bleibt, dass bei „Freundin X“ ein Huhn über die Terrasse läuft, dass „Freund Y“ einen Beitrag auf ZDF Neo gefällt oder dass „Freundin Z“ ein galoppierendes Pferd gefilmt hat. Dafür entgeht mir etwas wirklich Wichtiges nicht: Kostbare Zeit und meine Wahrnehmung, was sich für mich – unabhängig vom modernen Zeitgeist – stimmig anfühlt!

Und eins noch: Ich wurde „angestupst“ und weiß bis heute nicht, welcher Sinn sich dahinter verbirgt – falls sich überhaupt ein Sinn hinter dieser Albernheit verbirgt!? Goodbye, Facebook!

Mein Gespräch mit Susann Sontag

 

Im September 2015 hatte ich die Möglichkeit, die Autorin Susann Sontag ans Mikrophon zu bekommen – genauer gesagt, sie als Telefoninterviewgast zu gewinnen! Susann Sontag schreibt Sachbücher über das Thema Selbstvertrauen. Und genau darüber habe ich mit ihr gesprochen…

Ein hohes C auf die Blockflöte

Ein hohes C auf die Blockflöte

Der 10. Januar ist seit neun Jahren der „Internationale Tag der Blockflöte“. Das entzückt mich in diesem Jahr besonders, weil ich mir zu Weihnachten nach jahrzehntelanger Spielpause eine Altflöte geschenkt habe. Dank des guten Blockflötenunterrichtes von damals, steht meinem persönlichen „Schnabelflöten-Revival“ nichts im Wege.

Der „Internationale Tag der Blockflöte“ kann aber auch nachdenklich stimmen, denn in den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Blockflötenspieler hierzulande auf rund 50.000 halbiert. Wieso? Zum einen wahrscheinlich deswegen, weil es derzeit kein sogenanntes Zugpferd für dieses Instrument gibt. Die Geige hat David Garrett, das Klavier hat Lang Lang und die Mundharmonika hat Michael Hirte – aber wen hat die Blockflöte? Solange mich beim Spielen noch eine akute Luftnot an eine falsche oder gar ausgesetzte Atmung erinnert, bin ich als Zugpferd nicht geeignet. Auch zeugen immer noch Tropfspuren auf den Jeans von wenig Spielroutine und bei meiner Anzahl der Flötentöne pro Sekunde kann man noch problemlos mitzählen!

Zum anderen, vermute ich, ist der Rückgang der Blockflötenspieler mit großer Wahrscheinlichkeit den vielen Blockflötenopfern geschuldet. Diese Blockflötenopfer sind Personen, die den Übenden und Spielenden wieder und wieder ungewollt zuhören müssen, weil sie im gleichen Haus leben. Diese Qual führt natürlich seitens der Betroffenen bewusst oder unbewusst zu Negativpropaganda. Schlagzeugopfer kann man schon werden, wenn der Übende nur in der gleichen Straße wohnt. Aber das nur am Rande!

Deshalb richtet sich der „Internationale Tag der Blockflöte“ für mich nicht nur an das Instrument selbst, sondern auch an die vielen traumatisierten Passivspieler, für die sich die Töne einer Blockflöte anhören wie ein mittelschwerer Tinnitus.

Schuhmachermeister Carl-Heinz Broers

 

Im November 2014 konnte ich mein – für mich besonderes – Interview mit dem Schuhmachermeister Carl-Heinz Broers, weit über 80 Jahre, senden. Für diese Sendung hatten wir uns das Thema „Schuhe“ zur Vorgabe gemacht und jeder aus der Redaktion schaute, was ihm dazu einfällt. Mir fiel „der alte Schuster“ in meiner Gemeinde ein…

Gibt es eine Verpflichtung zum Leben?

Gibt es eine Verpflichtung zum Leben?

Die Meinungen zum Thema „Sterbehilfe“ gehen weit auseinander. Auch wenn es dazu in vielen Ländern der Welt inzwischen Positionen und Gesetze gibt, so bleiben die kontroversen Diskussionen zu dem Thema nicht aus. Wenn man sich ein wenig mit der Thematik und mit der damit verbundenen Problematik befasst, dann spricht man nicht mehr nur von Sterbehilfe, sondern grob gesehen von drei Varianten: die aktive, die passive und die indirekte Sterbehilfe.

Am umstrittensten ist die aktive Sterbehilfe, die das gezielte Herbeiführen des Todes durch Handeln aufgrund des Wunsches einer Person meint. Im Jahre 2001 ließ die Niederlande als erstes Land der Welt diese zu; in vielen anderen Ländern ist sie verboten und wird sogar gleichgesetzt mit fahrlässiger Tötung oder Mord.

Ich recherchiere, was die Argumente der Gegner vom selbstbestimmten Sterben sind – und werde fündig: Zum Beispiel sind es die vielen Erfahrungen von Psychologen und Seelsorgern, die sich einig sind, dass eine Mehrzahl der Menschen, die einen missglückten Suizid hinter sich haben, diesen oft bereuen und froh sind, dass er missglückte. Ein selbstbestimmtes Sterben könnte dieser Fehlentscheidung Vorschub leisten. Ein gutes Argument. Nur frage ich mich in dem Zusammenhang, wieso ist die Beihilfe zur Selbsttötung, die einer aktiven Sterbehilfe sehr nahe kommen könnte, dann hierzulande erlaubt und straffrei?

Gegner der aktiven Sterbehilfe beharren darauf, dass es sich dabei um Euthanasie handelt. Sie haben recht im Sinne der Wortbedeutung: Euthanasie ist ein Fremdwort, welches sich aus dem altgriechischen „schön“, „gut“ und „Tod“ herleitet. Die Gegner ziehen aber einen direkten Vergleich zu dem im dritten Reich missbrauchten Begriff der Euthanasie, bei der es um systematisches Morden ging. Dieser Vergleich ist äußerst unangemessen, denn die Sterbehilfe bezieht sich auf Sterbewillige – und all die Körperbehinderten, die geistig Minderbemittelten, die rassisch und sozial Unerwünschten wollten nicht sterben!

Natürlich haben auch die christlichen Kirchen ihren Standpunkt: Das 5. Gebot verbietet es, zu töten und die Selbsttötung, wie Saul oder Judas sie vornahmen, ist sündhaft. Basta!

Dabei kann ich mich auch an Religionsunterricht erinnern, in dem gelehrt wurde, dass das Sterben zum Leben gehört, dass es schön sei bei Gott im Himmel und dass das Sterben nicht das Ende ist, sondern ein neuer Anfang. Wieso ist dann die Sterbehilfe für einige so verwerflich, wenn es einem Menschen den unausweichlichen Übergang in dieses unbekannte Danach erleichtern kann?

Gesetzlich verankert ist der Schutz von Leben – und das ist auch gut so! Aber sind wir deshalb auch verpflichtet zum Leben? Selbst wenn ausschließlich Maschinen dieses sogenannte Leben ermöglichen würden und auch wenn die Mittel der überaus wichtigen Palliativmedizin die Schmerzen nicht völlig nehmen können?

Für mich steht fest: Sterbehilfe, ob passiv, aktiv oder indirekt kann ein Beistand für die Entscheidung eines Sterbewilligen sein und sollte so selbstverständlich sein dürfen wie die Geburtshilfe, die auch eingreift, wenn es auf natürliche Weise nicht möglich ist!