Vom Landleben „die Nase voll“
Da war er wieder. Viele Wochen kam ich in den Genuss des für mich schönsten Duftes, den es auf dieser Welt gibt. Zugegeben, ich kenne nicht die ganze Welt, also müsste es korrekt heißen: der schönste Duft, der mir bisher an meine bis zu 30 Millionen Nervenzellen meines Riechorgans gekommen ist.
Die Rede ist nicht vom Inhalt eines der wohlgeformten Glas-Flakons aus Parfümerien und Drogerien, deren Aufschrift nicht selten Sinnlichkeit verbreiten soll. Ich meine auch nicht das Aroma, welches ein liebevoll zubereiteter Festschmaus imstande ist zu verbreiten.
Nein – der für mich schönste Duft heißt Erntezeit. Wohlwissend um den Druck, die Sorgen und Nöte, die manch Landwirtsfamilien in dieser Phase durchleben, weil sie den zeitweise launenhaften Wetterkapriolen machtlos ausgesetzt sind. Trotzdem verbinde ich mit dieser Zeit in erster Linie Wohlgerüche, die uns frisch gemähtes Gras bis hin zu getrocknetem Heu, gedroschenes Getreide, gepflügte Ackerkrumen und ein warmer Sommerregen bescheren. Man könnte auch sagen: Ich habe im wahrsten Sinne die Nase voll vom Landleben – zum Glück! Und immer, wenn sich einer dieser Düfte erschnüffeln lässt, sind im Nu lebendige Erinnerungen aus meiner Kindheit präsent.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Geruchssinn der unmittelbarste unserer menschlichen Sinne ist. All das, was wir sehen, hören oder anfassen muss erst einen Boxenstopp in der Großhirnrinde einlegen, um dort verarbeitet zu werden. Aber ein Duft – leider auch ein unangenehmer – wirkt direkt auf das limbische System im Gehirn, wo Emotionen und Erinnerungen entstehen.
Und genau das beobachte ich jedes Jahr aufs Neue bei mir. Unweigerlich spulen sich beim Erschnuppern besagter Naturgerüche Kurzfilme ab von wackeligen Fahrten auf Traktoren, von mit Getreide beladenen Anhängern, von der Anstrengung, wenn ein Kinderfuß die schwere Kupplung eines Traktors durchtreten will, von Käsestullen, die auf Strohklappen genossen werden, von Möwen, die in frisch gewendeten feuchten Erdkrumen nach Regenwürmern suchen, von mit Staub umgebenen Mähdreschern und von unermüdlicher Geschäftigkeit der Bauern und ihren Helferinnen und Helfern.
Kein Duft der mir bisher bekannten Welt kommt gegen diese natürlichen Wohlgerüche des Landlebens an und ich freue mich schon „wie Bolle“ darauf, wenn ich im nächsten Jahr wieder wahrnehme: Da ist er wieder…